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BELLA COME L'ORO ...

Guillaume Dufays Rondeau Donna gentile [1] erscheint auf den ersten Blick als ein Stück höfischer Liebesdichtung. Bei genauerer Betrachtung erweist es sich als ein Dokument einer vielschichtigen Überlieferungslage … Die folgende Betrachtung versucht den kulturellen Kontext des Textes zu beleuchten.


Bella come l'oro
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donna gentile, bella come l’oro, Edle Frau, schön wie Gold,

che sopra le altre portate corona Die Du über den anderen die Krone trägst,

come per l'universo si razona Wie im gesamten Universum bekannt ist.

datime secorso, stella, che moro. Gewähre mir Hilfe, mein Stern, denn ich sterbe.

che più non stago in questo purgatoro Dass ich nicht lange in jenem Fegefeuer verweile,

tranquillitate en ver di me fortuna beruhige in der Tat mein Schicksal.

donna gentile, bella come l’oro, Edle Frau, schön wie Gold,

che sopra le altre portate corona Die Du über den anderen die Krone trägst,

lasso ja sono di tale martoro, Erschöpft bin ich von solcher Qual,

che vivere non posso salvo en una. dass ich nicht ohne diese eine leben kann,

qui mi trovo com voy, clara luna, Die ich hier bei Euch, heller Mond, finde.

per sempre servire quella c’adoro. Ihr, die ich anbete, will ich immer dienen.

donna gentile, bella come l’oro, Edle Frau, schön wie Gold,

che sopra le altre portate corona Die Du über den anderen die Krone trägst,

come per l'universo si razona Wie im gesamten Universum bekannt ist.

datime secorso, stella, che moro. [2] Gewährt mir Hilfe, mein Stern, denn ich sterbe.

Der Text des Stücks ist in Elfsilblern gehalten, wobei Dufay die starre Reimordnung zur Verstärkung des Ausrufs datime secorso mit dessen Wiederholung – in ähnlicher Weise wie dies in Johannes Ciconias berühmtem O Rosa bella der Fall ist – durchbricht. Er wird in den Quellen mit Ausnahme einiger Abweichungen der Schreibweise identisch überliefert.

David Fallows beschreibt den Inhalt des Rondeaus so: «The lover praises his lady and begs her to accept his love.»[3] Der Text des Rondeaus teilt einige Schlüsselwörter mit dem erstmals von Johannes Ciconia vertonten O rosa bella (Leonardo Giustiniani, 1388–1446, zugeschrieben): «sterben», «hilf», «dienen», «erschöpft», «Qual». Wie jener, so wendet sich auch dieser Text an eine «edle Dame». Das lyrische Subjekt spricht von Qualen, die es im Fegefeuer (der Liebe) erleide. Das Rondeau könnte daher tatsächlich der Gattung der höfischen Liebesdichtung zugeschlagen werden, wie Fallows meint. Es weist allerdings eine Reihe von Zuschreibungen auf, die ihn in eine andere Sphäre verweisen. Die donna gentile ist durch folgende Merkmale bezeichnet:

stella – Stern

bella come l’oro – schön wie Gold

supra le altre – über allen anderen (Sternen)

portate corona – trägt einen Kranz, eine Krone

come per l'universo si razona – wie dies im/dem Universum bekannt ist

qui mi trovo con voy, clara luna – die ich hier bei euch, heller Mond, finde

Einige dieser Zuschreibungen sind mannigfach kulturgeschichtlich belegt. Sie entstammen der Offenbarung des Johannes und dem Buch Weisheit und sind von da in die kirchlichen Gebete, Huldigungs- und Bittgesänge, aber auch in die bildkünstlerischen Werke aller Jahrhunderte übernommen worden.

Off. 12,1 beschreibt ein «am Himmel erscheinendes großes Zeichen»:

Mulier amicta sole et luna sub pedibus eius et in capite eius corona stellarum duodecim.

(Eine Frau mit der Sonne umkleidet, der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen).

Man hat darin das Sternbild Virgo (Jungfrau) gesehen, das alljährlich für längere Zeit vom Planeten Jupiter durchquert wird, und dessen Sternenkranz durch die neun Sterne des Sternbilds Löwe, ergänzt durch Venus, Merkur und Mars, gebildet wird. Die zwölf Sterne Marias – sie entstammen dem Traumgesicht des Joseph – versinnbildlichen die zwölf Stämme Israels, werden aber auch auf die zwölf Löwen vor Salomos Thron, auf die zwölf Tierkreiszeichen, durch die die Sonne wandert, und auf die Apostel Christi bezogen, deren Vorbild Joseph ist.

Andreas von St. Victor (+1175) etwa schreibt:

Hanc mulierem nonnulli Dei genitricem virginemque per omnia sanctissimam interpretati sunt, quam ea omnia quae ordine hunc consequuntur, prius perpessa autumant, quam divinus illius partus perfecte cognosceretur. At magnus ille Methodius ad ecclesiam retulit, cuius verba haec sunt. Mulier sole induta, est ecclesia: quod autem nobis vestis est, hoc illi lux est. Pari modo quod nobis est aurum, et pretiosi lapides, hoc illi sunt stellae, et quidem ceteris praestantiores et illustriores. Ascendit autem super lunam, quia synagogam sub pedibus prostratam habet.

(Diese Frau haben nicht wenige in jeder Hinsicht als die allerheiligste Gottesgebärerin und Jungfrau gedeutet; sie glauben, dass sie früher gelitten habe, was an der göttlichen Geburt jenes [Kindes] als vollendet erkannt werden könne. Doch der große Methodius [von Olympus, +um 311] bezog dieses [Zeichen] auf die Kirche; seine Worte sind diese: Die mit der Sonne bedeckte Frau ist die Kirche. Was aber für uns ein Kleidungsstück ist, das ist für sie das Licht. In gleicher Weise: Was für uns Gold und kostbare Steine sind, das sind für sie die Sterne, und zwar vortrefflicher und heller als die übrigen. Sie erhebt sich aber über den Mond, weil sie die Synagoge unter ihren Füßen niedergeworfen hat.)

Und Rupert von Deutz (ca. 1070–1129) deutet das Bild in seinem Kommentar zur Offenbarung des Johannes so:

In capite huius mulieris corona stellarum duodecim Patriarchae, itemque; in initio renascentis eiusdem duodecim Apostoli notissimi ac splendidi dinumerantur.

(Auf dem Kopf dieser Frau eine Krone von Sternen – die zwölf Patriarchen. Und auf gleiche Weise werden seit dem Beginn der Wiedergeburt [durch die Taufe] die sehr berühmten und angesehenen Apostel als diese Zwölf gezählt.)

Der Genter Altar Jan van Eycks (zus. mit Hubert van Eyck 1432–35) zeigt die bekrönte Jungfrau, in einem Buch lesend. Ihrer Krone sind die zwölf Sterne aus der Offenbarung des Johannes sowie die Attribute Mariens, Lilien- (Reinheit) und Rosenblüten (frei von Erbsünde), und einige der Edelsteine aus Off. 21,19f. aufgesetzt.

Genter Altar (1432), Ausschnitt

Als sedes sapientiae ist Maria der Sitz von Gottes Weisheit (Σωφια), worauf auch die Tatsache verweist, dass sie in einem Buch – vermutlich dem biblischen Buch Weisheit – liest. Dem Nimbus, der das Haupt der Jungfrau bogenförmig umrahmt, hat der Künstler daher folgende Inschrift aus jenem Buch beigefügt:

+ ♦ HEC EST SPECIOSOR SOLE + SVPER OMNEM STELLARVM DISPOSITIONEM LVCI

COMPARATA INVENITVR PRIOR CANDOR EST ENIM LUCIS ETERNAE + SPECVLVM SINE MACVLA DEI MAIESTATIS

In Weisheit 7,26 heißt es:

Sie ist schöner als die Sonne / und übertrifft jedes Sternbild an Licht. / Sie ist strahlender als das Licht.

Und Weisheit 7,29 ergänzt :

Sie ist der Widerschein des ewigen Lichts, / der fehlerlose Spiegel der Herrlichkeit Gottes.

Die Wurzeln der christlichen Mariengestalt liegen in der heidnischen Antike. Das Bild, das die Offenbarung des Johannes entwirft, entspricht dabei den Vorstellungen des alten Ägypten über die Göttin Isis. Isis war hier einst die Göttin der Geburt, der Wiedergeburt und der Magie, aber auch Totengöttin. Sie wurde im Sternbild Virgo als himmlische Muttergestalt, als Ernährerin und Beschützerin verehrt. Ein Hymnus legte ihr die Worte in den Mund: «Ich bin Isis, ich wache! Ich bin die Mutter des Horus, ich bin die Schwester des Osiris, ich bin die Zauberkräftige, ich bin die große Jungfrau». (Hymnus, um die Ztw.) Darstellungen der Isis mit dem Horusknaben aus der Isis-Ikonografie, vor allem die Isis lactans (die «stillende Isis»), erscheinen eng verwandt mit Darstellungen der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind. Ihre übernatürliche Nahrung, die Milch, bewirkt auch Linderung der Qualen des Fegefeuers (von denen auch im Text des Rondeaus Donna gentile die Rede ist). Von Isis erhielt Maria den blauen sternengeschmückten Mantel, dazuhin die Attribute Mondsichel und (achtfacher) Stern.

Isis mit dem Kind Horus

Allerdings gibt es weitere Vorläuferinnen der christlichen Maria: neben der ägyptischen Isis sind dies die große Göttin Mesopotamiens, Ištar, bzw. die Astarte der Phönizier. Ihre Merkmale gehen zunächst ein in die Charakterisierung der griechischen Göttin Aphrodite bzw. der römischen Venus, die ihrerseits die christliche Mariengestalt präfigurieren.

Ištar ist der akkadische Name einer – sumerisch Inanna genannten – Gottheit. Die «Königin der Sterne» wurde als Göttin des (sexuellen) Begehrens wie auch als Kriegsgottheit verehrt. Unmittelbar mit ihr verbunden wird der größte und hellste «Stern» am Himmel – der Planet Venus, der Morgen- und Abendstern.

Westsemitisches Äquivalent zu Isis und Ištar war die Himmelskönigin und Liebesgöttin Astarte. Attribut der Astarte ist die Schlange, die sie in Händen hält. Sie verweist einerseits auf Tod und Zerstörung, andererseits durch ihre periodische Häutung aber auch auf Wiedergeburt und Auferstehung. Ein weiteres Attribut der Astarte/Isis ist die Krone, die, ergänzt durch die Sonnenscheibe, teils als Kuhgehörn, teils als Mondsichel ausgebildet ist.

Der Planet Venus steht entweder als «Abendstern» am westlichen Horizont, wo er der untergegangenen Sonne «in das dunkle Reich der Unterwelt» folgt – oder geht im Osten als «Morgenstern» vor der Sonne auf. Wenn sich der Mond (in unserer Perspektive) der Venus nähert, steht er auch immer in der Nähe der Sonne. Die Konjunktion Venus/Mond geschieht also nur bei abnehmender oder zunehmender Sichel. In der Ikonografie des Christentums finden wir diese Konstellation im Bild der Jungfrau Maria. Sie wird – der griechischen Mythologie entlehnt – als Ἑωσφόρος («Bringer der Morgendämmerung») bezeichnet und in vielen Liedern als «Morgenstern in finsterer Nacht» besungen. Auch die Krone, von der in Donna gentile die Rede ist, hat hier ihren Ursprung.

Der griechischen Mythologie galt die Nördliche Krone (Corona Borealis) für die Krone der Mondpriesterin Ariadne, Tochter des kretischen Königs Minos. Nachdem Theseus, in den Ariadne sich verliebt hatte, den Minotaurus getötet hatte, nach Athen zurückgekehrt war und Ariadne auf Naxos zurückgelassen hatte, starb sie aus Verzweiflung. Dionysos, von dem sie eine Krone als Brautgeschenk erhalten hatte – sie war einst von Hephaistos für Aphrodite geschmiedet und mit Edelsteinen (Gemma, der Hellste Stern des Sternbilds bedeutet Edelstein) besetzt worden –setzte diese daraufhin als Corona Borealis an den Himmel: «Die Krone, die Dionysos später als Corona Borealis unter die Sterne setzte, hatte Hephaistos in der Form von Rosen aus feurigem Gold und roten indischen Edelsteinen geformt.» [4] Ovid berichtet mehrfach von diesem Geschehen: «Er (Dionysos) hält Wort und verwandelt die neun Juwelen in Sterne. Jetzt noch erstrahlen die neun Sterne als goldener Kranz.» [5] und an anderer Stelle: «Der Verlassenen, hemmungslos Klagenden schenkte Bacchus [gr. Dionysos] seine Liebe und seinen Schutz, und um die ewig durch ein Gestirn zu verherrlichen, nahm er von ihrer Stirn die Krone und ließ sie zum Himmel aufsteigen. Sie schwebt durch die leichten Lüfte empor, und während sie schwebt, verwandeln sich die Edelsteine in funkelnde Sterne, behalten jedoch die Gestalt einer Krone und finden ihren Platz zwischen dem Knieenden Mann und dem Schlangenträger.» [6]

Das Bild, auf das Dufays Text rekurriert, ist nicht eindeutig bestimmbar. Zwei Traditionsstränge scheinen sich miteinander zu vermischen: einer, die auf die christliche Überlieferung bezogen werden kann; ein zweiter, der Anleihen bei paganen Mythen macht. Der Text des Rondeaus spricht so die Jungfrau Maria sowohl als die apokalyptische Frau als auch als Göttin Venus/ Aphrodite an. Das weltliche Begehren, das üblicherweise in der höfischen Liebesdichtung sublimiert wird, wird modifiziert zur Verehrung bzw. zur hingebenden Liebe an die christliche Jungfrau Maria. Die Anbetung der Jungfrau Maria in Donna gentile ist der Verehrung der leidenschaftlich begehrten Dame (donna = frouwe) in der höfischen Liebesdichtung nachgebildet. Die «frouwe» ist jetzt Maria, ihr knecht = servitore der Komponist. Die Bitte um Unterstützung im Turnier hat sich in die Bitte um Hilfe am Lebensende verwandelt, die cupiditas (die Leidenschaft, das heftige Verlangen) der Minnedichtung zur cariatas (Verehrung, hingebenden Liebe).

Wie Alejandro Enrique Planchart überzeugend darlegt,[7] existiert eine besondere Verbindung des Komponisten Dufay zur hl. Jungfrau. Dufay, so Planchart, sei am 5. August (1397), dem Tag der Santa Maria della Nieve (Rom), geboren. Maria – an dieser Stelle sei erwähnt, dass auch Dufays 1444 verstorbene Mutter den Namen der Jungfrau (Marie) trug – habe er daher zu seiner Patronin gewählt. Als solche sollte sie ihm zeitlebens Schutz gewähren und dereinst zur Fürsprecherin in der Stunde seines Todes werden.

Anmerkungen

[1] «The Chansonnier Cordiforme (1470s) or Chansonnier de Jean de Montchenu is a cordiform (heart-shaped) music manuscript, Collection Henri de Rothschild MS 2973, held in the Bibliothèque Nationale, in Paris, France» (Edward L. Kottick: The music of the Chansonnier Cordiforme, 1963, 1974). «The manuscript was commissioned in Savoy between 1460 and 1477 by canon Jean de Montchenu, later Bishop of Agen (1477) and Bishop of Vivier (1478-1497). An edition was prepared by Geneviève Thibault de Chambure in 1952, and the complete manuscript was recorded by Anthony Rooley and the Consort of Musicke» (Le Chansonnier Cordiforme, 3CDs Decca/Australian Eloquence 2009, Liner notes).

[2] Wegen des nicht ganz schlüssigen Reims (una/ona) vermutete David Fallows, dass es sich bei der Dichtung ursprünglich um eine Ballata handelte, die von Dufay gekürzt wurde, um sie für ein Rondeau zu verwenden. Der Text stammt also vermutlich nicht von Dufay selbst, wurde von ihm aber für seine Zwecke bearbeitet. David Fallows: The Songs of Guillaume Dufay. Critical Commentary to the Revisions of Corpus Mensurabilis Musicae, Ser. I, vol. VI. (Musicological Studies and Documents 47). Neuhausen-Stuttgart 1995, S. 48 f.

«But the text-repetition in bars 20–25 recalls much earlier settings of Leonardo Giustinian’s poetry by Ciconia and others; and the undeniable infelicities in the rhyme-scheme (see below = fortuna / corona) suggest that the poem could well derive from the Giustinian tradition and originally have been in ballata form – simply adapted by Dufay to become a rondeau.» […] «But I suggest that, since the rhyme of ‹ona› and ‹una› is, strictly speaking, unacceptable, it may be worth considering that the words ‹purgatorio› (Cord) and ‹martirio› (Cord and Pav) could be correct and that the original poem was a ballata, with a four-line refrain (-oro, -ona, -ona, -oro), two-line piedi (-rio, - una) and a volta that now lacks two lines (-una, [ ], [ ], -oro).»

[3] David Fallows in: Liner notes zu Le Chansonnier Cordiforme. The Consort of Musicke, DECCA 480 1819, S. 12.

[4] Robert von Ranke-Graves: Griechische Mythologie, Kap. 98,o, S. 309. Die Rosenkrone der Ariadne, so Ranke-Graves, sei keine Erfindung. Zart gearbeitete Goldkränze mit Blumen aus Edelsteinen habe man tatsächlich im Mochlos-Schatz gefunden. (S. 315)

[5] Ovid: Fasti, 3. Buch, S. 515 f.

[6] Ovid: Metamorphosen, Fi: S.188.

[7] A.E. Planchart: Dufay, Cambridge 2018, Bd. 1, S. 25.

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